Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort gemäß §142 StGB – im allgemeinen Sprachgebrauch die Unfall- oder Fahrerflucht – ist ein häufig vorkommendes Strafdelikt im Straßenverkehr.  In vielen Fällen wird die strafbegründende Fahrereigenschaft des Beschuldigten im Rahmen einer Vernehmung ermittelt. Dabei müssen die Strafverfolgungsbehörden aber die Belehrungspflichten einhalten. Dass ein Verstoß gegen diese Pflichten ein Beweisverwertungsverbot begründen kann, urteilte nun das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth am 28.06.2022.

Der Sachverhalt

Im maßgeblichen Fall wurde einer Frau vorgeworfen, ein fremdes Fahrzeug beim Ausparken beschädigt und sich vom Unfallort entfernt zu haben, ohne eine erforderliche Feststellung ihrer Person zu ermöglichen. Aufgrund einer Zeugenaussage konnte das Kennzeichen der Autofahrerin ermittelt werden. Die Halterin wurde an ihrer Anschrift angetroffen und gab in einem informatorischen Gespräch mit den Polizeibeamten zu, das Fahrzeug gefahren zu haben. Erst danach wurde sie von den Beamten über ihre Beschuldigtenrechte belehrt. Sie machte daraufhin von ihrem Schweigerecht Gebrauch. Das Amtsgericht beschlagnahmte ihren Führerschein und entzog ihr vorläufig die Fahrerlaubnis.

Allgemeines zur Unfallflucht und der Strafverfolgung

Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort gemäß §142 StGB ist grundsätzlich nicht leicht nachweisbar. Aufgrund der geltenden Unschuldsvermutung muss dem Beschuldigten vollständig nachgewiesen werden, dass er den Tatbestand der Unfallflucht erfüllt hat. Eine Pflicht zu einer selbstbelastenden Aussage besteht nicht. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Fahrereigenschaft. Diese kann die Polizei meist nur durch Aussage des Beschuldigten feststellen. Es ist denkbar, dass der Verdächtigte zuhause aufgesucht wird und gleich einräumt, das Fahrzeug gefahren zu haben. Ein Ermittlungsverfahren wird in diesen Fällen regelmäßig eingeleitet und strafprozessuale Maßnahmen werden ergriffen. Der Aussage des Beschuldigten kommt somit eine große Bedeutung zu.

Dementsprechend gibt das Gesetz dem Beschuldigten Rechte, wie das Aussageverweigerungsrecht und den Strafverfolgungsbehörden Pflichten auf, wie etwa die Belehrungspflichten. Diese Rechte und Pflichten greifen jedoch nur ein, wenn der Beschuldigtenstatus feststeht. Den Behörden wird bei der Bestimmung der vernommenen Person als Zeuge oder Beschuldigten ein Ermessensspielraum eingeräumt.

Das Urteil des LG Nürnberg-Fürth

Das Gericht verneint in seiner Entscheidung den dringenden Tatverdacht für die Betroffene, der erforderlich ist, um eine Fahrerlaubnis vorläufig nach §111a StPO zu entziehen. Denn es sind nach den rechtmäßig ermittelten Erkenntnissen keine dringenden Gründe ersichtlich, die eine Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigen. Die Zeugenaussage alleine, die sie nur als Halterin identifizierte, reicht für die Begründung eines dringenden Tatverdachts nicht aus.

Es ist rechtswidrig, eine verdächtige Person nur als Zeugen zu befragen, wenn ausreichend Anhaltspunkte bestehen, dass diese Person als Beschuldigter in Frage kommt. Das ist in diesem Fall jedoch passiert. Die Beamten haben eine Beschuldigtenbelehrung unterlassen, obwohl sich aufgrund der Zeugenaussage ein Anfangsverdacht aufdrängen musste, der den Beschuldigtenstatus der betroffenen Person begründet. Die Befragung war aus rechtlicher Sicht keine rein informatorische Aufklärung des Sachverhalts, sondern eine Beschuldigtenvernehmung.

Das rechtswidrige Unterlassen der Beschuldigtenbelehrung führt zu einem Beweisverwertungsverbot. Das bedeutet, dass die Aussage der Betroffenen zur Fahrereigenschaft keine Grundlage zur Annahme eines dringenden Tatverdachts sein kann. Eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis durfte ohne die Verwertbarkeit der Aussage nicht angeordnet werden. Allerdings blieb der Anfangsverdacht aufgrund der Zeugenaussage noch bestehen, sodass das Ermittlungsverfahren nicht eingestellt werden musste. Ob sich die Betroffene strafbar gemacht hat, wird sich aus neuen Ergebnissen des laufenden Ermittlungsverfahrens und der anschließenden Hauptverhandlung ergeben.

Bedeutung für Betroffene

Sollten Sie des Vorwurfes der Unfallsflucht ausgesetzt sein, ist es wichtig sich seiner Rechte bewusst zu sein. Als Beschuldigter steht es Ihnen zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens frei, einen Anwalt zu konsultieren. Auch Zeugen haben das Recht auf anwaltlichen Beistand.

Falls eine Vernehmung bereits stattgefunden hat, ist es rechtserheblich, ob eine Zeugenbefragung oder eine Beschuldigtenvernehmung vorgenommen wurde. Für die Verwertbarkeit der Aussage ist maßgeblich, ob eine entsprechende Belehrung erfolgt ist. Dabei ist präzise zu ermitteln, ob schon vor der Befragung ein Anfangsverdacht bestand oder erst durch die Aussage selber begründet wurde. Dementsprechend variieren die Anforderung an die Belehrungspflichten und die Rechte des Betroffenen

Ihre rechtliche Beratung

Um ein faires Strafverfahren zu gewährleisten, sind fundierte Kenntnisse der Gesetzeslage, des typischen Vorgehens der Ermittlungsbehörden in der Praxis und der aktuellen Rechtsprechung unerlässlich.

Die rechtliche Abwicklung von Verkehrsunfällen, die nicht nur versicherungsrechtliche oder zivilrechtliche, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen haben, bildet einen Schwerpunkt im Tätigkeitsspektrum unserer Kanzlei. Dr. Meisl führt die Fachanwaltstitel im Strafrecht, Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, die eine besondere Kompetenz und erhebliche praktische Erfahrung in den Rechtsgebieten belegen. Unser Team ist regelmäßig in dieser Schnittstelle zwischen Straf- und Verkehrsrecht tätig und besitzt eine besondere Expertise auf diesem Gebiet. Ein besonderes Anliegen liegt uns in solchen Fällen darin, bereits im Vorfeld auf eine Verfahrenseinstellung hinzuwirken, sodass ein nervenaufreibender Strafprozess abgewendet werden kann.