Typischerweise nimmt die Polizei im Ermittlungsverfahren Fingerabdrücke des Verdächtigen ab. Doch das ist nicht immer rechtmäßig.

Was sind erkennungsdienstliche Maßnahmen?

Erkennungsdienstliche Maßnahmen definiert das Strafrecht als Maßnahmen, die zum Zwecke des Erkennungsdienstes oder der Durchführung des Strafverfahrens notwendig sind. Solche Maßnahmen sind etwa das Abnehmen von Fingerabdrücken und die Vornahme von Lichtbildern oder Messungen.

Da es sich bei den Maßnahmen jedoch gleichzeitig um Eingriffe in die Grundrechte der Betroffenen handelt, müssen sie verhältnismäßig sein. Dafür muss das Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts den Grundrechtsschutz des Betroffenen überwiegen.

Zu dieser Konstellation veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein aktuelles Urteil.

Der Sachverhalt

Betroffener der polizeilichen Maßnahmen war ein Sprayer, der im Sommer 2021 die Schriftzüge „Toni F. Du Jude“ und „Antifa Boxen“ auf Gasverteilerflächen sprühte. Die Flächen standen im Privateigentum. Während der Tat wurde der Täter von einem Zeugen beobachtet und gefilmt. Dieser gab später bei der Polizei an, den Täter bei einer Gegenüberstellung identifizieren zu können.

Durch einen anonymen Hinweis konnten die Polizeibeamten den Beschuldigten anhand des Filmmaterials des Zeugen ausmachen. Der Eigentümer der Flächen stellte einen Strafantrag und gegen den Sprayer wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung eingeleitet.

Im Juli 2021 ordnete die Polizei erkennungsdienstliche Maßnahmen an. Es wurden ein Fünfseitenbild, ein Ganzkörperbild, eine Personenbeschreibung, ein Spezialbild sowie ein Zehnfinger- und Handflächenabdruck des Verdächtigen angefertigt. Die Beamten sahen die Anordnungen als gerechtfertigt an. Sie seien notwendig gewesen, um den Täter vor Gericht zu überführen. Dem Zeugen müsse eine Wahllichtbildvorlage vorgehalten werden können. Denn die Zeugenaussage der Polizeibeamten, die den Täter wiedererkannt haben, genüge wegen der schlechten Qualität des Filmmaterials dem Beweis vor Gericht nicht.

Durch erfolglose Rechtsbehelfe wehrte sich der Täter. Die Vornahme des Lichtbilds und die Abnahme der Fingerabdrücke durch die Polizei sei nicht rechtmäßig gewesen. Dies begründete er zum einen damit, dass er einräumte, die Person auf den Filmaufnahmen des Zeugen zu sein. Eine Notwendigkeit der Lichtbildaufnahmen bestehe daher nicht. Weiterhin war aus seiner Sicht die Abnahme von Fingerabdrücken unzulässig, da es kein Vergleichsmaterial gebe.

Sowohl das zuständige Amtsgericht, als auch das Landgericht wiesen den Betroffenen ab. Danach erhob der Beschuldigte Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht und rügte eine Verletzung seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung durch die landgerichtliche Entscheidung.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht gab dem Beschwerdeführer recht. Sowohl die Vornahme des Lichtbildes als auch der Fingerabdrücke waren verfassungswidrig. Dadurch wurde der Betroffene in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in unverhältnismäßiger Weise verletzt.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Ein Eingriff darin kann nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit vollzogen werden.

Dabei erkennt das Bundesverfassungsgericht die Strafverfolgung und die Sachverhaltsaufklärung als legitimen Zweck an.

Damit ein staatlicher Eingriff verhältnismäßig und verfassungsgemäß ist, muss er jedoch weiterhin geeignet sein, den verfolgten Zweck zu dienen, das mildeste Mittel zur effektiven Zweckerreichung sein und konkret das beeinträchtigte Grundrecht nicht unangemessen beschränken.

Das Anfertigen der Lichtbilder hielt das Bundesverfassungsgericht bereits zur Zweckerreichung ungeeignet. Da die Vornahme von Fingerabdrücken der Identifizierung dienen, waren sie schon deswegen verfassungswidrig, da mangels Vergleichsmaterials keine Identifizierung stattfinden konnte. Erforderliche Fingerabdrücke am Tatort wurden gar nicht vorgenommen. Die Abnahme der Fingerabdrücke konnte von der Polizei daher nicht rechtmäßig angeordnet werden.

Auch bezüglich des Fünfseiten- und Ganzkörperbildes entsprach das Gericht dem Antrag des Beschwerdeführers. Durch Billigung der Maßnahmen verkannte das Landgericht die Bedeutung und Tragweite des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen. Im Ergebnis verneinte das Bundesverfassungsgericht die Erforderlichkeit der Maßnahme. Da die Möglichkeit bestand, dass der Zeuge den Täter vor Gericht wiedererkennen und identifizieren konnte, bestand ein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Identifizierung des Täters. Auch der Tatrichter kann im Strafprozess einen Abgleich mit dem Filmmaterial und dem Erscheinungsbild des Angeklagten selber vornehmen. Die Maßnahmen waren somit verfassungswidrig.

Auswirkungen auf die Praxis

Dass Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren Grundrechtseingriffe sein können, ist nichts neues. Dies ist grundsätzlich sogar gesetzlich erlaubt.
Allerdings muss die Polizei zu jeder konkreten Maßnahme die Schranken der Verhältnismäßigkeit beachten. Jede einzelne Maßnahme bedarf einer strengen rechtlichen Prüfung, bei der die Bedeutung der Grundrechte nicht verkannt werden darf. Fehler in der Ermittlung, wie etwa das Vergessen der Sicherstellung der Fingerabdrücke am Tatort, bewirkt, dass Maßnahmen der Polizei nicht rechtmäßig sind.

Ein rechtlicher Beistand kann im Stadium des Ermittlungsverfahrens bereits Grundrechtseingriffe rügen und auf die Polizei und Staatsanwaltschaft einwirken.

Das Strafrecht ist ein Tätigkeitsschwerpunkt in unserer Kanzlei. Dr. Christian Meisl ist Experte und Fachanwalt im Strafrecht und hat sich schon vieler Verfahren erfolgreich angenommen. Sie können gerne über das Kontaktformular, per Mail oder telefonisch mit uns Kontakt aufnehmen. Wir helfen Ihnen gerne weiter!